Siebenbürgische Zeitung vom 30. April 2007

"Hermannstädter Geschichten"


Leicht dahinfließende Erzählungen von Astrid Bartel

Geschichten „über mein liebes Hermannstadt und seine Menschen“, so die Autorin in der Einleitung. Sie beginnt „mit dem Abschied“ 1965. Sofort überträgt sich auf uns eine tiefe Anteilnahme. Haben nicht viele von uns einen ähnlichen Abschied erlebt? Ein Stück Leben ist unwiderruflich vorbei! Wir verlassen einen Ort und Menschen, an denen unser Herz hängt.

„Grüßen Sie mir unser Hermannstadt“, ruft ihr viele Jahre später, als Astrid Bartel in Berlin beim Gericht dolmetscht, eine Angeklagte zu. Immer ist das Herz beteiligt! In 16 Kapiteln erzählt die Autorin von Schicksalen, Begebenheiten und Situationen, die sie in ihrer Kindheit und Jugend in Hermannstadt erlebte. Welch eine Buntheit überfällt uns da! Allein schon das Völkergemisch, wie wir es, in der letzten Geschichte vom „Canasta-Haus“ vereinigt, vorfinden! Die menschlichen Aspekte treten eindrucksvoll z.B. in „Das Geheimnis der Frau Zillich“, der eigentlichen Seele des Säuglingsheims, zutage.


Da sind die politischen Schwierigkeiten! „Die Rote“ zieht in die Nachbarschaft. Sie taucht überall auf, bespitzelt, fragt aus, meldet zur Schule … Auf der „Kreuzfahrt“ drängen Genossin Văcariu und Genossin Cornea mit ihrem Enthusiasmus über die Oktoberrevolution alle anderen ins Abseits: den Arzt mit seinem „altertümlichen Anzug mit Weste und Uhrkette“, Astrid Bartels Vater, und den Pfarrer, ebenfalls aus Hermannstadt.

Aber weder die Emotionen erdrücken uns mit Herzeleid, noch erfüllen uns die politischen Zustände unter Stalin und Ceauşescu mit Aggressionen oder gar Hass. Dafür sorgt allein schon die Distanz des Kindes, „vor dem darüber sowieso nicht gesprochen werden darf“. Doch gerade Kinder sind hellhörig und begreifen vieles. So erforscht denn auch die Zehnjährige in der Titelgeschichte „Der halbierte Stalin“ das Militärgeheimnis des Spezialtransportes. Eine Hälfte der Stalinstatue aus Stalinstadt (Kronstadt) wird zum Einschmelzen ins Hüttenwerk nach Hunedoara gebracht. – Die „Tauwetterperiode“ des „Genius der Menschheit“ beginnt.

Zwischen diesen beiden Polen, dem Menschlichen und dem Politischen, bewegen sich die Geschichten. Und es gibt noch viele andere Facetten zu entdecken, begleitet von Jürgen Bartels Illustrationen! Wen wundert es, dass die Autorin noch nach Jahrzehnten immer wieder von ihren Erinnerungen an Hermannstadt überwältigt wird? Astrid Bartel versteht es mit ihrer leicht dahinfließenden Erzähl-Begabung, uns wieder zu bannen und auch zum Schmunzeln zu bringen. „Unser Sanitätskreis“ ist geradezu ein köstliches Beispiel dafür: Das Wieder-einmal-Schlangestehen-Müssen! Die Auseinandersetzungen zwischen dem pensionierten Buchhalter, dem Popen und dem kommunistischen Genossen Stoica gipfeln in der Versöhnung mit dem gerade ergatterten roten Toilettenpapier. Das Kommando der Oberschwester, in den Flur hinaus gebrüllt: „Machen Sie schon mal alle den Oberkörper frei!“ trägt ebenfalls zu unserer Erheiterung bei.

Wir glauben der Autorin und ihrer Erzählfreude gerne, dass sie noch „eine Menge“ zu erzählen hätte. Hoffentlich lässt sie uns möglichst bald – nach den Zigeunergeschichten („Das Mädchen von der Quelle“) und diesen („Der halbierte Stalin“) – an neuen Geschichten aus Hermannstadt teilhaben!

Ursula Schepull