Siebenbürgische Zeitung vom 20.12.2012

Exemplarisches siebenbürgisches Schicksal

Astrid Bartel erzählt in ihrem ersten Roman die Geschichte ihres Vaters, des Hermannstädter Arztes Egon Gross

Nach zwei erfolgreichen Erzählbänden veröffentlichte die Berliner Autorin Astrid Bartel (geboren 1945) nun ihren ersten Roman unter dem Titel „Dem Leben verpflichtet. Ein Arzt in Siebenbürgen.“ Gestützt auf dessen Privatarchiv erzählt Astrid Bartel die Lebensgeschichte ihres Vaters, des renommierten Frauenarztes Dr. Egon Gross (1896-1988), der jahrzehntelang in Hermannstadt gewirkt hat. Nach dem Studium der Medizin in Klausenburg, Innsbruck, Marburg und Kiel und der Facharztausbildung als Gynäkologe und Geburtshelfer in Leipzig kehrte er 1930 in seine Heimatstadt zurück, wo er die Leitung der gynäkologischen Abteilung des Martin-Luther-Krankenhauses am Stadtpark übernimmt und zugleich eine Privatpraxis eröffnet.

„Dr. Christoph Hartmann“, wie ihn die Romanautorin nennt, wird bald nicht nur wegen seines hervorragenden Fachwissens und der modernen Diagnose- und Behandlungsmethoden, die er in Hermannstadt eingeführt hat, sondern auch wegen seines sensiblen und empathischen Umgangs mit seinen Patienten hoch geschätzt. Sein beispielhaftes ethische Ethos und seine sprachliche Kompetenz machten Dr. Gross alias Dr. Hartmann nicht nur zum gesuchten Arzt der siebenbürgisch-sächsischen Frauen, sondern auch vieler Rumäninnen, Ungarinnen, Jüdinnen und Zigeunerinnen. Parallel zu seiner beruflichen Karriere evoziert die Autorin auch den privaten Lebensweg ihres Vaters - die Hinwendung zum Arztberuf unter dem Eindruck des 1918 erfolgten Kriegstodes seines besten Freundes, die Ehe mit der lungenkranken Josephine und nach ihrem Tod die Heirat mit Christiane, die ihm seine einzige Tochter schenkt. Berufliches und Privates werden in enger Anbindung an die dramatischen Zeitabläufe erzählt - beginnend mit der Kindheit und Jugend im damals noch Österreich-Ungarn gehörenden Siebenbürgen, dem Ersten Weltkrieg, den gewandelten Verhältnissen im neuen rumänischen Staat, dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis hin zu den verheerenden Folgen der sowjetischen Besatzung für das Schicksal der Siebenbürger Sachsen, wie die Deportation zur Zwangsarbeit, die Enteignung durch die so genannte Agrarreform, die Verstaatlichung der Industrie und des Bankwesens und nicht zuletzt auch des Gesundheitswesens. Hartmann arbeitet in der Folge im staatlichen Gesundheitsdienst als Fabriksarzt und bis 1959, als seine Privatpraxis zwangsweise geschlossen wird, auch als niedergelassener Arzt.. Immer schwerer lasten wirtschaftliche Schwierigkeiten, politischer Druck und Bespitzelung auf ihm und seiner Familie, bis er nach einer willkürlichen Verhaftung im Jahre 1960, die er als Verlust seiner Würde empfindet, den Antrag auf Ausreise aus Rumänien stellt. Im Jahr 1965 wandert er schließlich, knapp siebzigjährig, in die Bundesrepublik aus, wo er 91-jährig in Berlin verstirbt.
Ein exemplarisches Schicksal unter dramatischen Zeitumständen, anschaulich erzählt -  eine Hommage an einen Arzt, an den sich die noch Überlebenden einer Frauengeneration dankbar erinnern dürften.

Dr. Anneli Ute Gabanyi