Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien vom 18. August 2012

Lebensgeschichte aus Siebenbürgen

Zum Roman „Dem Leben verpflichtet“ von Astrid Bartel

Das Einbandfoto zeigt einen freundlichen, entschlossen wirkende Mann im Arztkittel, flankiert von Krankenschwestern. Ein unscheinbarer Vermerk im Impressum übt Verrat: „Einbandfoto: Privatarchiv der Autorin“. Am Schutzumschlag des neuen Buches von Astrid Bartel befindet sich die Aufklärung: Der Roman fußt auf den Tagebuchaufzeichnungen und Notizen ihres Vaters. Die eingesessenen Hermannstädter wissen, dass es sich dabei um Dr. Egon Gross (1896-1988) handelt, der in der heutigen Strada Dr. I. Lupaș, bis 1945 Hechtgasse Nr. 30, danach Dr. Kornhauser-Straße, gewohnt hat. Seine Lebensgeschichte ist beispielhaft für jene Rumäniendeutschen, die zwischen den Weltkriegen im Ausland studiert, sich eine Karriere aufgebaut und es zu mittlerem Wohlstand gebracht hatten – was ihnen in den Jahren der „sozialistischen Umgestaltung“ zur Last gelegt wurde.

Dr. Egon Gross – die Autorin nennt ihn im Buch Christoph Hartmann – war Facharzt für Gynäkologie in Hermannstadt/Sibiu. Er studierte an der ungarischen Fakultät in Klausenburg/Cluj, als Siebenbürgen noch zu Ungarn gehörte, und danach in Innsbruck, Marburg und Kiel, wo er promovierte. Finanziert hat er das Studium aus der im Ersten Weltkrieg erhaltenen Offiziersgage, musste also äußerst karg leben. In seine Heimatstadt zurückgekehrt, durchlief er alle Arztstufen und machte dann seine Ausbildung zum Facharzt an der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig. Wegen der angeschlagenen Gesundheit beschloss er, auf eine Karriere in Uni-Klinik und Forschung zu verzichten, und kehrte nach Hermannstadt zurück. Neben dem angeeigneten Fachwissen verfügte er über die besonderen Gaben menschlicher Empathie und Gefahren frühzeitig zu erahnen. Wie damals üblich, konnte er mit den Patientinnen aus den drei unterschiedlichen Sprach- und Kulturgemeinschaften Siebenbürgens in ihrer jeweiligen Muttersprache sprechen.

Eine Bilderbuch-Karriere in Deutschland hatte der Frauenarzt aber auch – wie viele Sachsen – aus Heimatverbundenheit ausgeschlagen. „Ich kann mir im Traum nicht vorstellen, jemals meine Heimat zu verlassen,“ sagt Hartmann seinem Freund aus Deutschland im noch-Friedensjahr 1939. Nach Beschlagnahmungen und Enteignungen, Razzien, Verhaftung und Demütigungen entschließt er sich schließlich am Anfang der 1960er Jahren, aus „Angst vor der tagtäglichen Bedrängnis“, den Ausreiseantrag zu stellen. Als „burghez fascist“ (faschistischer Bürgerlicher) hatte er nur einen Posten als Fabriksarzt erhalten, seine Praxis wurde geschlossen, weil sie den hygienischen Anforderungen angeblich nicht entsprach – jedoch ist sie ohne jedwelche Umänderung als „Circumscripție sanitară“ wiedergeöffnet worden.
„Dem Leben verpflichtet“ titelte Astrid Bartel das Buch über das Leben ihres Vaters. Die 1945 in Hermannstadt geborene Autorin reiste 1965 mit den Eltern in die Bundesrepublik Deutschland aus, wo sie in Köln Germanistik und Geografie studierte, wonach sie nach Berlin zog, wo sie heute lebt. Ihre Kindheitserlebnisse aber auch spätere Begegnungen verarbeitete die schriftstellerische Spätzünderin zu Geschichten, die in den Bänden „Das Mädchen von der Quelle“ (Erstauflage 2005) und „Der halbierte Stalin“ (2007) im Hermannstädter hora-Verlag erschienen sind. Das dritte Buch ist bei Books on demand in Padernborn gedruckt worden.

Zugeordnet hat die Lektorin das Buch über den Arzt in Siebenbürgen dem Genre Roman, selbst wenn die Autorin außer einigen Namen nichts verfremdete. Um eine klassische Biografie handelt es sich allerdings nicht bloß aus diesem Grund nicht, sondern insbesondere, weil in den Text zahlreiche historische Daten und Zusammenhänge sowie einfühlsame Beschreibungen und Geschichten eingeflochten wurden. Gut gelungen ist zum Beispiel das facettenreiche Porträt des Metropoliten von Siebenbürgen Nicolae Bălan, den „Dr. Hartmann“ in seinem zweiten Fach als Röntgenarzt kennenlernte und dessen Gast im Haus auf der Hohen Rinne/Păltiniș er mehrfach war. Nüchtern und dennoch berührend werden die Not und Unsicherheit unter den Siebenbürger Sachsen dargestellt nach Aushebungen, Geldentwertung, Bespitzelungen und angesichts des allgemeinen Misstrauens, das ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg entgegengebracht wurde. „Das Land, für das er alles gegeben hätte, mit dem er sich innig verbunden gefühlt hatte, hatte ihn wie einen Schwerverbrecher behandelt, verraten, gefoltert … Es hatte ihm die Würde genommen“, beschreibt Bartel das Empfinden des aus der Haft entlassenen Vaters. Es war das Gefühl, das so viele veranlasste, die Heimat und den Rest des Besitzes aufzugeben, um in Freiheit zu leben.

Hannelore Baier